J. J. Voskuil: Die Nachbarn Wagenbach Verlag


Wie ich Voskuils Schreibe liebe!
Ich bin froh, dass nach dem vielbändigen mehreretausend-seitigem Werk „Das Büro“, welches ich verschlungen habe (zu den Besprechungen siehe unten), immer noch weitere einzelne Werke von J. J. Voskuil ins Deutsche übersetzt werden. Nach „Die Mutter von Nicolien“ ist es nun „Die Nachbarn“, das mich wieder in die Welt von Maarten und Nicolien führt. Und wie klasse, endlich wieder mal dieses Wort „Underdog“ zu hören, dass irgendwie aus einer anderen Welt stammt. Und manchmal glaubt man sich ohnehin in einer anderen Welt, wenn man über das in Amsterdam lebende ältere Ehepaar liest. Der Roman ist natürlich, wie alles von Voskuil autobiographisch und wurde erst nach seinem Tod eines der Protagonisten im Jahr 2011 posthum von Voskuils Frau veröffentlicht. Geschrieben wurde er bereits im Jahr 2001. Einen schönen Einblick in Voskuils trockenen schwarzen Humor bekommt man in folgender Szene:

„Im Hausflur stand hinter der Eingangstür tagelang ein Müllsack, aus dem eine dicke rote Flüssigkeit lief, die auf dem Marmorboden allmählich eine Pfütze bildete. Nachdem sich niemand darum zu kümmern schien, hängte ich schließlich einen Zettel für unsere Mitbewohner an die Innenseite der Tür. Ich schrieb, dass es eine Sache sei, jemanden in seiner Wohnung umzubringen, es aber nicht angehen könne, die sterblichen Überreste dann tagelang im Flur stehen zu lassen und darauf zu hoffen, dass ein anderer sich ihrer schon annehme.“

Nicolien und Maarten können irgendwie nicht ohne einander. Obwohl sie sich im ganzen Buch fast durchgehend streiten – etwas was man in kleinerer Dosis bereits aus Das Büro kennt – sind sie eng zusammen geschweißt. Sie leben ihre ganz eigene Art einer Liebe. In diesem Roman, der wie alle von Voskuils Romanen von seinen herrlichen Dialogen lebt, geht es um die Beziehung zu den neu zugezogenen Nachbarn, ein schwules Päärchen mit einigem Altersunterschied und mit besonderen Eigen- und Empfindlichkeiten. Nicolien ist sofort begeistert von den „Underdogs“. Hier kommt ihre soziale Ader und ihr Sinn für sozial Benachteiligte zum Vorschein und sie beginnt die beiden nach mehreren Kennenlern-Treffen gegen alle Welt und in jeder Situation zu verteidigen. Vor allem Maarten gegenüber, der mit den beiden so seine Probleme hat. Doch Maarten wäre nicht Maarten, wenn er nicht gute Miene zum bösen Spiel machen würde. Trotz seiner Liebe zur Provokation, zu konstruktiven Diskussionen, gibt er Nicolien zuliebe meist klein bei. Nicolien, und das kommt in diesem Roman sehr deutlich raus, hat sehr nah ans Wasser gebaut und ist hochempfindlich mit einer Neigung ins Hysterische. Sie liebt es, recht zu bekommen, komme was wolle.

„Suche ich den so oft Streit?“, fragte sie, als wir im Bett lagen, nachdem ich sie gefragt hatte, was eigentlich los wäre.
„Nicht so oft, aber schon oft.“

Und so lese ich von Ehestreit und der komplizierten Nachbarsbeziehung und kann und kann nicht genug davon bekommen, obgleich nicht viel mehr passiert, als gegenseitige Einladungen und Besuche zum Tee, die manchmal in Sprachlosigkeit enden. Petrus, der Ältere ist sehr eigenwillig und doch zurückhaltend in den Begegnungen. Peer, der Jüngere, ist so jähzornig und hinterlistig, wie er andererseits wieder begeisterungsfähig und hilfsbereit ist. Es ist kompliziert, wie man so schön sagt. Die einen mögen Hunde, die anderen Katzen, die einen essen Fleisch, die anderen nicht, die einen sind umweltpolitisch unterwegs, die anderen nicht. Was sie verbindet sind meist die Radausflüge, die sie teils gemeinsam machen oder einander davon erzählen. Oder die Urlaubsbetreuung des Vogel oder der Katzen. Eine echte Freundschaft scheint nicht zu entstehen, auch wenn Nicolien sich das oft wünscht und auch einredet. Letztlich bricht es immer wieder aufgrund von Kleinigkeiten und Missverständnissen entzwei. So auch am Schluss des Romans, an dem Maarten regelrecht tyrannisiert wird von Peer. Etwas, dass Nicolien nicht sehen oder nicht daran glauben will und das sie immer wieder relativiert oder entschuldigt.

„Wir hatten uns jedoch so oft darüber gestritten, dass ich die Kritik für mich behielt. Bemerkungen wie die von Roosje waren für mich normale Äußerungen normaler Ängste. Gefährlich wurde es erst, wenn man darüber redete wie Nicolien, es Menschen verbot, solche Ängste zu äußern. und Gefühle ins Hinterstübchen verbannte. Doch ich wusste, dass das Elend kein Ende nehmen würde, wenn ich das laut sagte.“

Hochinteressant, wie das Thema Homosexualität hier betrachtet wird. Nicolien findet das Paar um jeden Preis „schützenswert“, einfach nur weil es schwul ist, weil sie Underdogs sind. Maarten hingegen interessiert sich gar nicht dafür, sondern orientiert sich am Charakter der beiden. Für eine Freundschaft ist es ihm wichtiger, wie die beiden sich verhalten und ob sie interessant sind, ähnlich ticken. Eigentlich ziemlich aktuell … Von dieser unterschiedlichen Sichtweise lebt letztlich die ganze Geschichte.

Große Empfehlung für alle Fans, aber auch für alle anderen Leser, die sich von schnellen, grandiosen wahnwitzigen Dialogen mit sehr besonderem Humor begeistern können oder als Einstiegsbuch für „Das Büro“. Und großes Lob für die Übersetzung aus dem Niederländischen, wie immer von Gerd Busse. Ein irres Leuchten!

Das Buch erschien im Wagenbach Verlag. Ich danke für das Rezensionsexemplar.

Weitere Besprechungen zu Voskuils Büchern hier auf dem Blog:

Über diesen Link kommt man zu allen anderen Büro-Bänden.

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