2x Norwegen 🇳🇴: Inghill Johansen: Ein Bungalow STROUX edition / Roskva Koritzinsky: Keine Heiligen Karl Rauch Verlag


Zwei norwegische Autorinnen, die aus verschiedenen Generationen kommen und doch in aller Unterschiedlichkeit letztlich ganz ähnliche Themen für ihre Bücher wählten: Es geht ums Essentielle. Beide haben mir in ihrer leuchtenden Eigenart sehr gefallen.


Weder die 1958 geborene Inghill Johansen, noch der Verlag STROUX edition waren mir bisher bekannt. Umso mehr freue ich mich darüber, dass das kleine feine Büchlein den Weg zu mir gefunden hat. Auch haptisch einschmeichelnd ist es, was den besonderen Einband betrifft und damit den etwas langweilig klingenden Titel wieder ausgleichend. Johansen ist in Norwegen eine bekannte erfolgreiche Autorin.

„Es ist schwer zu sagen, ob ich in dem Haus wohne, oder das Haus in mir.“

Formell ist das Buch nicht ganz klar positioniert. Es ist eine Art Roman in kurzen Erzählsträngen aus Gegenwart und Vergangenheit. Es geht um eine Frau, die gleich eingangs beobachtet, wie ein Bagger ein Haus, einen Bungalow abreißt. Wie die Schaufel sich in Dach und Wände beißt und wie schwierig das Zuschauen ist, wenn doch dieses kleine Haus ein ganzes Leben beinhaltet. Die Erinnerungen steigen unweigerlich auf.

„Ich verlasse die kurzen Sekunden, die Tag heißen, die Stunde heißen, und versinke in etwas anderem, das nicht ist, das war, das früher heißt, das damals heißt, das einst heißt.“

Wie das Dach ausgewechselt wurde, preiswert aber unschön, so dass die Mutter niemals die Straße ging, von der aus man von oben aufs Haus blicken konnte, obwohl die Strecke viel kürzer wäre. Die Mutter, die sich nie so richtig in dieser Gegend zurechtfand, in die sie aber durch ihre Heirat verpflanzt wurde. Es findet sich ein Backrezept, dass aber doch nur der Mutter gelang. Die Tochter, die die Mutter pflegte. Die Ameisen, die sich Straßen durch das Haus bahnten. Dann die eigene Körperlichkeit, die umgebenden Strukturen. Die Arbeit als Lehrerin. Das Älterwerden. Die Freundschaften, die zufälligen Begegnungen und teils skurrilen zwischenmenschlichen Verstrickungen. Das alles übersetzt die Autorin in höchst lesenswerte Miniaturen, die von der Sprache leben.

Aus dem Norwegischen übersetzt hat Ina Kronenberger. Eine Leseprobe gibt es hier. Ich danke dem Verlag für das Rezensionsexemplar.

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~


Auch der Band Keine Heiligen aus dem Karl Rauch Verlag wartet mit einem haptischen Einband und besonders schöner Aufmachung, wie farbige Fadenheftung, wertigem Papier auf. Es sind Erzählungen der 1989 geborenen Norwegerin Roskva Koritzinsky. Es ist ihr zweiter Erzählungsband und die Stories sind sehr skurril und gewagt, oft verwirrend und ratlos machend, jedoch scheint mir die Autorin auf dem Weg zum ersten Roman zu sein, was die Form der Erzählungen nahelegt. Es würde mich freuen.

Da ich die vorigen Erzählungen kannte, wusste ich in etwa, was mich erwartet, doch diesmal bewege ich mich auf noch dünnerem Eis. Lese Satz für Satz, wiederhole Passagen. Oft driften die Geschichten ins Märchenhafte, Fabelhafte. Einmal erkenne ich eine Geschichte über Krishna aus der indischen Mythologie. Oft weiß ich nicht, wohin mich die Autorin führt, was mich jedoch in keinem Augenblick der Lektüre stört.

Wir lesen von Inez und ihrem kleinen Bruder Martin, beide aus einer dysfunktionalen Familie, er bei Pflegeeltern aufgewachsen, später davon gelaufen. Und doch ist aus beiden „etwas geworden“. Immer bleibt jedoch das Gefühl des nicht gut genug sein.

„Die Gewissheit, dass die Dinge für andere Kinder so anders sein konnten, machte mich nervös, als hätte ich schon damals empfunden, dass es Dinge gab, die ich zu wehr wollte, mehr als die anderen, und dass es daher auch etwas geben musste, das mir in entsprechendem Grad fehlte.“

Es folgen weitere Protagonisten, Lilli, zum Beispiel, die von ihrer Freundschaft mit Lilian erzählt. Später taucht auch wieder Inez auf, als kleines Mädchen, Martin sowohl als Baby, als auch als Elfjähriger, als auch als zur See gefahrener junger Erwachsener. Es scheint, als verknüpft Koritzinsky die Stories miteinander, doch sind die jeweiligen Handlungsorte und -zeiten unklar.

„Die Krankheit war nicht etwa darauf zurückzuführen, dass die Welt hässlich und bedrohlich war, […] sondern ganz im Gegenteil rührte der Schmerz daher, dass die Welt ein Wunder war, das ihr zwar auf der einen Seite zugänglich war, auf der anderen jedoch versagt blieb,“

Die Helden in diesem Buch sind jedoch alle irgendwie Verlorene, Einsame, Zweifelnde, Schwankende, Beschädigte. Es scheint, als müssten sie sich doppelt so viel anstrengen, wie alle anderen. Es scheint, als wählten sie Wege, die besonders steil sind. Sie sind mir sehr sympathisch in ihrer Haltlosigkeit.

„Der unheimliche Verdacht , dass sie nicht nur im Verborgenen lebte, sondern auch im Verborgenen dachte, im Verborgenen fühlte, im Verborgenen atmete. Dass sich alles in ihr auf kleinster Fläche abspielte: den armseligen Quadratmetern ihres Verstecks.“

Roskva Koritzinsky ließ sich inspirieren, wie man im Abspann nachlesen kann, von den unterschiedlichsten Autoren, wie etwa Clarice Lispector, Inger Christensen, Peter Handke, Samuel Beckett und ganz stark vom schwedischen Nobelpreisträger Harry Martinson. Beim Guggolz Verlag liegt von ihm ein Buch in Neuübersetzung vor – so schließt sich der Kreis.

Die sprachlich starken Erzählungen wurden von Andreas Donat ins Deutsche übertragen. Eine Leseprobe gibt es hier. Ich danke dem Verlag für das Rezensionsexemplar.

2 Gedanken zu “2x Norwegen 🇳🇴: Inghill Johansen: Ein Bungalow STROUX edition / Roskva Koritzinsky: Keine Heiligen Karl Rauch Verlag

Hinterlasse einen Kommentar