Karine Tuil: Die Zeit der Ruhelosen Ullstein Verlag

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Karine Tuil, 1972 in Paris geboren, Juristin und Schriftstellerin mit tunesischen, jüdischen Wurzeln hat selbst ihre Kindheit in den Banlieus verbracht. „Die Zeit der Ruhelosen“ ist bereits ihr 10. Roman und erzählt von den Klassenunterschieden im heutigen Frankreich. Tuil packt politisch brisante Themen an und weiß stimmig konstruierte Geschichten daraus zu machen, in denen es an Kritik am System nicht mangelt. Ihr 500-Seiten-Roman ist in keiner Sekunde langweilig – selten nehme ich das Wort Pageturner in den Mund, doch hier passt es. Der Roman besticht mit seinem komplexen spannenden Inhalt.

Es gibt vier Hauptfiguren, um die sich die ganze Geschichte dreht. Da ist zunächst Romain Roller, ein französischer Soldat, der aus Afghanistan zurückkommt und stark traumatisiert nicht mehr in seine frühere Rolle mit Frau und Kind zurückfindet. Er hat eine spontane Affäre mit Marion Decker, einer Journalistin, die die zurückgekehrten Soldaten interviewt. Was einmalig sein sollte, wird zur Obsession, obgleich beide verheiratet sind. Marion ist mit dem deutlich älteren stinkreichen Geschäftsmann und Tausendsassa François Vely verheiratet. Und dann gibt es noch Osman Diboula, der auf eine steile politische Karriere aus ist, obwohl oder gerade weil er aus der in den Banlieus lebenden Unterschicht kommt und ein Schwarzer ist. Aus dieser Zeit kennt er auch Romain, den er als Sozialhelfer betreute. Als er gerade die Hand nach der Macht ausstreckt,  wird er durch eine unbedachte Bemerkung wieder von der Karriereleiter gestoßen. Seine Beziehung mit der ebenfalls politisch engagierten Sonia droht in die Brüche zu gehen. Doch er ist zäh und ein Skandal um Vely, lässt ihn unerwartet wieder Aufwind bekommen und höher steigen als zuvor.

„Wenn man an der Macht war, wandte man die Regeln der Kriegskunst an. Man griff zu den Waffen, wenn man erobern wollte, und tat dies auch, um sich seinen Platz zu sichern. Man ließ geliebte Menschen fallen. Man verriet, man verletzte. Man tötete, auch das. Unser Leben gegen euren Tod“

Vely hingegen ist tief gefallen, ihm wird Rassismus vorgeworfen, nachdem er für ein Interview für ein Foto-Magazin auf einem Thron, einem Kunstobjekt, abgelichtet wurde, der eine nackte schwarze Frau zeigt. Doch nicht genug, entdeckt man plötzlich, dass er jüdische Wurzeln hat (der Name Vely war früher Levy) und er wird nun von Antisemiten angefeindet.
Romain und Marion können weder mit- noch ohne einander und so lässt sich Romain als Söldner für eine Sicherheitsfirma im Irak anwerben.

Zum Showdown kommt es, als Diboula, inzwischen Minister für Außenhandel, eine Reise zu einer Handelsmesse in den Irak organisieren soll. Er lädt Vely ein, der seine Geschäfte in den nahen Osten ausdehnen will, da ein Partner in den USA aufgrund des Skandals aus einer geplanten Fusion aussteigt. Kurz entschlossen kommt Marion mit auf diese Reise. Es kommt wie es kommen muss, alle vier treffen in diesem gefährlichen Land aufeinander …

Karine Tuil kennt sich bestens aus in der politischen Landschaft Frankreichs. Sie legt Finger in die Wunden, sie legt bloß, was zu gerne von Politikern unter den Tisch gekehrt wird. Sie zeigt, wie sich die Oberschicht verhält, wie wenig Chancen den einfachen Leuten bleiben. Sie ist sich des Abgrunds bewusst, der zwischen Arm und Reich immer größer wird. Sie schildert die Machtverhältnisse. So stark unterscheidet sich Frankreich da von Deutschland wohl nicht …

Ich wünsche diesem Buch ganz viele aufmerksame, engagierte Leser*innen.

„Die Zeit der Ruhelosen“ erschien im Ullstein Verlag. Übersetzt wurde es von Maja Ueberle-Pfaff. Eine Leseprobe gibt es hier.
Weitere Besprechungen gibt es bei Constanze von Zeichen & Zeiten und auf dem Blog reingelesen

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