Tove Ditlevsen: Böses Glück Aufbau Verlag


Vielen bereits bekannt durch die sogenannte Kopenhagen-Trilogie und den Roman „Gesichter“ taucht Tove Ditlevsen nun auch als Autorin von Erzählungen auf. Und zwar richtig gut gelungenen, wie ich finde. Sehr eindringlich und von Menschenkenntnis und guter Beobachtungsgabe zeugend sind die meist etwa 10 Seiten umfassenden Geschichten. Sie haben mich mitunter an Adelheid Duvanels, aber auch Clarice Lispectors Erzählungen erinnert. Ganz besonders passend ist auch der Titel „Böses Glück“, denn um genau das dreht sich alles. Nie ist es reines oder pures Glück. Immer gibt es eine dunkle, hintergründige, schwere Komponente.

„Hanne war erst sieben Jahre alt, trug aber schon eine große, formlose Angst in sich. Sie wollte immer am liebsten an einem anderen Ort sein als da, wo sie gerade war.“

Immer geht es um zwischenmenschliche Beziehungen, seien es Liebesbeziehungen oder die zwischen Eltern und Kindern. Immer ist es komplex. Ditlevsen deckt vor allem die Rollenbilder Mann/Frau auf, was zu ihrer Zeit ziemlich mutig und tatkräftig war. Die Erzählungen wurden vor den Romanen geschrieben, teils schon in den Fünfziger Jahren. Die Männer kommen hier schlecht weg, vollkommen zu Recht. Für mich kaum auszuhalten, was Frauen in dieser Zeit erdulden mussten. Was bin ich froh, nicht zu dieser Zeit gelebt zu haben. Und wie dankbar, dass unter anderem Frauen wie Ditlevsen so viel für unsere Gleichberechtigung taten.

„Sie war Kinderpsychologin und hatte ihre Stelle in der psychiatrischen Abteilung sehr gemocht, doch dann war es zu dem großen Umbruch in ihrer beider Leben gekommen, und Henrik hatte ihr erklärt, aus steuerlichen Gründen sei es besser, wenn sie aufhöre Geld zu verdienen. Vermutlich war es ein großer Fehler gewesen, seinen unwiderlegbaren Argumenten nachzugeben.“

Es sind scheinbar kleine banale Momente, die in diesen Erzählungen den Ausgangspunkt und schließlich auch den Wendepunkt einleiten. Es bricht etwas, was selbstverständlich schien oder fraglos hinnehmbar. Das ist manchmal nur ein Regenschirm oder eine Katze. Manchmal mehr: Eine Frau wird beim ersten Besuch bei der zukünftigen Schwiegermutter so vergrault und heruntergezogen, dass sie es da kaum aushält und an der Beziehung zweifelt. Eine Frau, die ein Kind nach einer Trennung an den Vater abgibt, obwohl es ihr das Herz bricht und sie die neue Beziehung gleich in Frage stellt. Ein Junge, der aufgrund von Kinderlosigkeit von einem Ehepaar adoptiert wird, muss feststellen, wie wenig er plötzlich zählt, als dann nach vielen Jahren doch plötzlich noch ein leibliches Kind geboren wird. Eine Frau, die an Kinderlähmung erkrankt war und nur hinkend gehen kann, wird von den Worten ihres Mannes am Telefon „Meine Frau tanzt nicht“ so unsicher, dass sie an der Liebe ihres Mannes zweifelt. Eine Frau, die eine Affäre mit einem verheirateten Mann hat, wird schwanger und geht zu einem Arzt, der heimlich Abtreibungen macht.

„Keine sentimentalen Gedanken über hellblaue Rüschen und ein kleines zahnloses Lächeln. Es gab genug Kinder auf der Welt. Und dieser kleine Schmarotzer hatte ihr nichts als Übelkeit und Unbehagen bereitet und einen schleimigen grauen Schleier über all das gebreitet, was vorher schön gewesen war“

Immer tauchen wir ein in die Gedanken und Grübeleien, die auf die Verunsicherungen folgen. War vorher (vermeintlich) noch alles in Ordnung, gerät plötzlich alles ins Schwanken, wird plötzlich alles in Frage gestellt. Ditlevsen schafft es, dass wir sehr nah an den Protagonisten sind. Wir werden mit hineingezogen in ihre Geschichten. Wir hoffen und leiden mit. Und obwohl keinerlei direkte Verbindung zwischen den einzelnen Geschichten besteht, vereint sie doch ein einziges großes Thema. Glück? Was ist das? Wie ist es zu erreichen? Ist es überhaupt möglich als Mensch in der Welt, in Beziehungen und außerhalb so etwas dauerhaft zu finden?

Eine der Geschichten mit dem Titel „Die kleinen Schuhe“ könnte ein Teil oder eine Vorarbeit von/für den Roman Gesichter sein. Ebenso wie die letzte Geschichte „Böses Glück“ ein Auszug aus der Trilogie zu sein scheint. Fast kommt es mir vor, als läge Tove Ditlevsens wirkliche Stärke in dieser kurzen Form, den Erzählungen. Ein Leuchten!

Ursel Allenstein hat dieses so wie alle anderen Bücher von Ditlevsen aus dem Dänischen übersetzt. Ein Roman und Gedichte scheinen beim Aufbau Verlag noch geplant. Eine Leseprobe gibt es hier. Ich danke dem Verlag für das Rezensionsexemplar.

Besprechungen zu vorherigen Büchern Ditlevsens:

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