Es geht sich aus! Es geht sich ganz wunderbar aus!
Viele Tassen Kaffee und einige Mehlspeisen lang hatte ich riesige Freude an dieser opulenten Lektüre. Eva Menasses neuester Roman „Dunkelblum“ scheint mir auch ihr bester bisher zu sein. Ich erinnere mich noch gut an ihren ersten Roman Vienna, den sie damals 2005, ich war noch als Buchhändlerin tätig, im Café Einstein in Berlin bei einem köstlichen österreichischen Menü vorstellte. Seitdem sind einige weitere Romane erschienen, nicht alle davon habe ich gelesen, aber hier hat mich die Leseprobe schon absolut überzeugt. Auf über 500 Seiten breitet sie hier ein irres Panorama einer österreichischen Marktgemeinde aus, Dunkelblum genannt, aber angelehnt an die Geschichte des real existierenden Rechnitz im Burgenland. Über das „Massaker von Rechnitz“ kann man auf Wikipedia lesen, ich empfehle aber erst den Roman, denn von Menasse nachkonstruiert und auserzählt, ist es schon noch einmal etwas anderes.
1989: Es beginnt mit der Anreise des Dunkelblumer Lowetz, der sehr bald als junger Kerl dem Heimatort an der Grenze zu Ungarn den Rücken gekehrt hat und in der Hauptstadt lebt. Er kommt, um sich um den Nachlass seiner gerade gestorbenen Mutter zu kümmern, eine Verbindung zu ihr hatte er nicht mehr. Doch der Einzug ins Elternhaus und die Gespräche mit den alteingesessenen Dunkelblumern lassen ihn rasch wieder in den Ort eintauchen. Er lernt Flocke kennen, die Tochter des einzigen Bioweinbauern vor Ort, die auch nur zu Besuch ist und den Ehrgeiz hat eine Art Heimatmuseum aufzubauen; allerdings anders, als sich das die Einheimischen vorstellen. Der Reisebürobesitzer Rehberg, der an einer Dunkelblumer Chronik arbeitet und eben Lowetz` Mutter recherchierten mit ihr zusammen für dieses Projekt.
Etwa zur gleichen Zeit taucht auch ein vermeintlich Fremder namens Gellért auf, der sich augenscheinlich ebenfalls für die Dunkelblumer Geschichte interessiert, vor allem für die Zeit kurz vor Ende des zweiten Weltkriegs. Er verwickelt die Bewohner freundlich in Gespräche und stellt Fragen. Viele können, oder vielleicht eher wollen, sich nicht mehr erinnern.
„Man tat, wie man geheißen wurde, und schwieg, so war das damals. Und später war es auch so.“
Gleichzeitig widmet sich eine Gruppe Wiener Geschichtsstudenten der Verschönerung des Jüdischen Friedhofs, der sehr lange sich selbst überlassen blieb. Die Studentin Martha begleitet die Aktion mit ihrer Kamera. Sie spielt später noch eine große Rolle gegen Ende des Romans.
Wir lernen nach und nach verschiedene Mitglieder der Ortschaft kennen. Menasse schafft es hier wunderbar die einzelnen Charaktere herauszuarbeiten und auch in Bezug zu der persönlichen Familiengeschichte zu setzen. So wimmelt es bald von Namen und Persönlichkeiten, die man später nicht unbedingt immer zuordnen kann, aber das spielt so gar keine Rolle, weil die Lektüre einen einfach weitertreibt und vollkommen fasziniert über die Geschehnisse staunen lässt. Da gibt es beispielsweise die resolute Resi Reschen, die das Hotel Tüffer führt, in welchem sie ihre Lehre begann und welches sie nach der Flucht der jüdischen Eigentümersfamilie Tüffer eigenständig weiterführte. Da gibt es die schöne Leonore, die aus einem Nachbarsort eingeheiratet hat und ehrgeizig mit ihrem Mann, dem Toni Malnitz, aus dem eigenen Weingut einen Biobetrieb mit anspruchsvoller Hotellerie gemacht hat. Sie ist auch die Mutter von Flocke, aber Malnitz ist nicht der Vater. Da gibt es den bald pensionierten Hausarzt Sterkowitz, der damals frisch aus dem Studium plötzlich die Arztstelle übernehmen musste, weil der ansässige jüdische Arzt Bernstein den Ort verlassen musste. Da ist Antal Grün, ein KZ-Überlebender, der wieder nach Dunkelblum zurückkehrt und einen Laden eröffnet. Da gibt es den phlegmatischen Bürgermeister Koreny, der sich mit dem Wasserwirtschaftsamt herumschlägt, den öko-angehauchten Faludi-Bauer und den Obstbauer, den geflickten Schurl und viele andere mehr. Es ist ein großes Vergnügen zu lesen, wie die Autorin hier mit der Sprache und den speziellen österreichischen Begrifflichkeiten spielt.
„Da, lange zurück, gibt es eine reiche und stolze Geschichte von Dunkelblum. Aber dann, hoppala, ist die Geschichte irgendwie gestolpert und hat sich nur mit einem beherzten Sprung aufrechthalten können.
Und daher geht es quasi direkt nach den alten Römern mit den Russen weiter, mit der erbärmlichen, demütigenden Nachkriegszeit, in der man sich anstrengen musste, um den Unterschied zwischen Deutschen und Österreichern endlich wieder herauszuarbeiten – das war historisch noch nie dasselbe, bitteschön!“
Dunkelblum gelangt mehr und mehr aus dem Ruder, als zuerst bei Grabungen ein altes Skelett gefunden wird, dann ein Flüchtling aus der DDR auftaucht, der über die ungarische grüne Grenze kam, Flocke verschwindet und der inzwischen wieder ansehnliche jüdische Friedhof mit Schmierereien geschändet wird. Plötzlich nach so langer Ruhe kommt Bewegung in den Ort, kommen Journalisten, gelangen Menschen durch den Eisernen Vorhang. Wie es geschieht, dass dann doch nach über 50 Jahren Schweigen über die grauenhaften Taten der Nazis kurz vorm Ende des zweiten Weltkriegs einer den Mund aufmacht, der wirklich große Schuld trägt und das auch noch vor der Kamera der jungen Martha, ist auch der Mithilfe von Gellért zu verdanken, der, man ahnte es schon, ebenfalls aus Dunkelblum stammt und fliehen musste:
Im Schloss der Gräfin feierten Nazigrößen noch kurz bevor die Russen eintrafen ein riesiges Gelage. Und in dieser Nacht wurden unzählige jüdische Zwangsarbeiter, die den Südostwall zum Schutz des Landes graben mussten, mithilfe Dunkelblumer SS-Schergen und der Hitlerjugend gewaltsam hingerichtet und dort verscharrt. Im realen Reckwitz hat man die Toten trotz vieler Grabungen niemals gefunden. In den umgebenden Gemeinden, in denen ähnliches geschah, aber schon. Eva Menasse hat unglaublich viel recherchiert für diesen Roman und ihn sehr breit angelegt. Ihr ist es unglaublich gut gelungen zum Schluss hin alle vielleicht zeitweise verwirrenden Fäden zu einem stimmigen Ende zusammenzubringen und richtig gute Literatur zu machen. Unbedingte Empfehlung!
Das Buch erschien im Kiepenheuer & Witsch Verlag.
Liebe Marina,
das liest sich aber wirklich sehr nach Empfehlung! Da hast du mir mit deinem begeisterten und begeisternden Text aber ein Buch auf die Wunschliste gesetzt.
Viele Grüße, Claudia
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Das freut mich. Ich war auch sehr überrascht, habe allerdings auch ein Faible für österreichische Autorinnen.
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Herausragender Roman & schön zu sehen, das diese Autorin endlich mal alles was sie kann auch in einem einzigen Werk zusammen bringt. Gibt so viele „neue Dorfromane“, die wirken als habe ein Großstädter mal schnell die Tagesschau mitgeschrieben & die Konflikte in ein Dorf projeziert. Hier dagegen stimmt praktisch alles.
Um so schlimmer, dass sowohl der deutsche als auch der österreichische Buchpreis Dunkelblum für teils deutlich schwächere Werke ignoriert hat.
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Oja, da hast du recht.
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[…] Weitere Besprechungen gibt es unter anderem bei Archimboldi’s World, Buch-Haltung und Literaturleuchtet. […]
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[…] Rezensionen auf Literatur leuchtet, Kulturbowle, […]
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